Betriebsbedingte Kündigungen sind ein häufiger Grund für die Beendigung von Arbeitsverhältnissen.
Voraussetzung für ihrer Wirksamkeit ist aber insbesondere, dass der Arbeitnehmer im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern sozial am wenigsten schutzwürdig ist. Die Schutzwürdigkeit der betroffenen Arbeitnehmer ist im Rahmen einer sogenannten Sozialauswahl zu bewerten.
Die Sozialauswahl erfolgt anhand der Kriterien Lebensalter, Betriebszugehörigkeit sowie etwaige Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung der Arbeitnehmer (§ 1 Abs. 3 KSchG).
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat nun entschieden, dass ein Arbeitnehmer dann sozial weniger schutzwürdig ist, wenn er aufgrund seines Lebensalters innerhalb von zwei Jahren nach der Kündigung Altersrente beanspruchen kann (BAG, Urteil vom 08.12.2022 – 6 AZR 31/22).
Im zugrundeliegenden Fall wurde einer 65-jährigen Arbeitnehmerin nach einer Betriebszugehörigkeit von 48 Jahren betriebsbedingt gekündigt. Ein halbes Jahr nach Ablauf der Kündigungsfrist hatte sie einen Anspruch auf Beziehung einer Altersrente für besonders langjährige Beschäftigte.
Der Arbeitgeber begründete die Kündigung damit, dass die Arbeitnehmerin als einzige der in Frage kommenden Arbeitnehmer einen solchen zeitnahen Anspruch auf Altersrente habe. Sie sei daher am wenigsten sozial schutzbedürftig. Die Sozialauswahl falle daher zu ihren Lasten aus.
Das BAG folgte nun – wie die Vorinstanzen – der Begründung des Arbeitgebers.
Das Kriterium des Lebensalters sei ambivalent. So nehme die soziale Schutzbedürftigkeit zunächst mit steigendem Lebensalter zu, da die Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt zunehmend schlechter werden.
Die soziale Schutzbedürftigkeit nehme aber wieder ab, wenn der Arbeitnehmer innerhalb der nächsten zwei Jahre über ein Ersatzeinkommen in Form einer abschlagsfreien Rente wegen Alters verfüge.
Die betroffene Arbeitnehmerin sei im vorliegenden Fall daher im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern am wenigsten schutzwürdig. Auch gegenüber einem 34-jährigen Arbeitnehmer mit achtjähriger Betriebszugehörigkeit. Die betriebsbedingte Kündigung sei deshalb wirksam.
In der Entscheidung stellt das BAG aber auch klar, dass das Lebensalter nicht das einzige Kriterium einer Sozialauswahl ist. Vielmehr seien auch die Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflichten im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen.
Ein Anspruch auf Altersrente für Schwerbehinderte nach §§ 37, 236a SGB VI führe jedoch nicht dazu, dass ein Arbeitnehmer weniger sozial schutzbedürftig sei. Auch dies ist der Entscheidung des BAG zu entnehmen.
Die Entscheidung des BAG knüpft an die bisherige Rechtsprechung an. Das BAG hat bereits mit Urteil vom 27.4.2017 – 2 AZR 67/16 entschieden, dass zulasten des Arbeitnehmers bei der Sozialauswahl zu berücksichtigen ist, wenn der Arbeitnehmer einen Anspruch auf abschlagsfreie Altersrente hat. Diese Rechtsprechung wird nun dahingehend erweitert, dass es genügt, wenn dieser Anspruch innerhalb der nächsten zwei Jahre besteht.
Beachtlich ist, dass das BAG zwar erklärt, ein Anspruch innerhalb der nächsten zwei Jahre genüge, es sich im entschiedenen Fall aber nur um sechs Monate handelte, bis die Arbeitnehmerin abschlagsfrei in Altersrente gehen konnte.
Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund relevant, dass das BAG ausdrücklich eine Gesamtbetrachtung aller Kriterien anstellt. So wäre die Entscheidung wahrscheinlich anderes ausgefallen, wenn die gekündigte Arbeitnehmerin noch längere Zeit keinen Anspruch auf Altersrente gehabt hätte. Dann wäre sie im Rahmen der Sozialauswahl wohl gegenüber dem 34-jährigen Arbeitnehmer mit achtjähriger Betriebszugehörigkeit als sozial schutzwürdiger angesehen worden.
Für die Zukunft dürfte spannend werden, wie die Gerichte die hier besprochene Rechtsprechung zu Berücksichtigung der Rentennähe bei der Sozialauswahl im Verhältnis zum Kriterium der Betriebszugehörigkeit weiterentwickeln werden. Denn mit steigendem Alter und damit einhergehender Rentennähe steigt in der Regel auch die Betriebszugehörigkeit. In der Regel wird der Arbeitnehmer also mit zunehmender Rentennähe weniger sozial schutzbedürftig, mit zunehmender Betriebszugehörigkeit aber gleichzeitig schutzwürdiger.
Diese Problematik zeigt, dass es in Zukunft noch mehr auf den konkreten Einzelfall ankommen wird.
Bei der rechtlichen Bewertung Ihres Falles beraten wir Sie gerne und vertreten Sie gegebenenfalls im arbeitsgerichtlichen Verfahren.