Viele Arbeitnehmer haben über mehrere Jahre Resturlaubstage angesammelt, die sie im ursprünglichen Jahr nicht genommen haben.
Grundsätzlich muss der Resturlaub eines Jahres bis zum 31.03. des Folgejahres gewährt und genommen werden. Andernfalls verfällt der Urlaubsanspruch.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat jedoch bereits 2019 entschieden, dass der Resturlaub nur dann verfällt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor konkret dazu aufgefordert hat, Urlaub zu nehmen und ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass der Urlaub mit Ende des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums erlischt, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub nicht nimmt. (BAG, Urteil vom 19.2.2019 – 9 AZR 541/15)
Bisher war jedoch offengeblieben, ob der Urlaubsanspruch trotz der grundsätzlichen Hinweispflicht des Arbeitgebers jedenfalls nach der allgemeinen Verjährungsfrist nach drei Jahren verjährt.
Das BAG hat nun entschieden, dass der Urlaubsanspruch zwar grundsätzlich der Verjährung unterliegt. Die Verjährungsfrist beginne aber erst mit Ende des Jahres, in dem der Arbeitgeber seinen Hinweispflichten ordnungsgemäß nachgekommen ist und der Arbeitnehmer den Urlaub freiwillig nicht nehme. (BAG, Urteil vom 20. Dezember 2022 – 9 AZR 266/20)
Ohne Mitwirkung des Arbeitgebers in Form der Erfüllung der Hinweispflicht werde der Arbeitnehmer nicht in die Lage versetzt seinen Urlaub zu nehmen.
Die Entscheidung des BAG beruht maßgeblich auf einem Beschluss des EuGH, den das BAG um Vorabentscheidung ersucht hatte.
Der EuGH hat mit Beschluss vom 22.09.2022 entschieden, dass die Verjährung zwar der Rechtssicherheit diene, die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Urlaub aber der Gesundheit der Arbeitnehmer diene. Das Interesse an der Rechtssicherheit müsse hinter dem Gesundheitsschutz für die Arbeitnehmer zurückstehen. Diese Wertung ergebe sich Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. (EuGH, Urteil vom 22.9.2022 – C-120/21)
Faktisch führt die Entscheidung des BAG dazu, dass viele Arbeitnehmer einen Resturlaubsanspruch auch noch für weit vergangene Jahre geltend machen können. Denn jedenfalls in der Vergangenheit dürfte kaum ein Arbeitgeber seiner Hinweispflicht ordnungsgemäß nachgekommen sein.
Von der Entscheidung können zum einen Arbeitnehmer profitieren, die den Urlaub der vergangenen Jahre im laufenden Jahr nehmen wollen und so nun mehr Urlaubstage haben.
Eine größere Bedeutung wird die Entscheidung aber für Arbeitnehmer haben, die aus dem entsprechenden Arbeitsverhältnis bereits ausgetreten sind. Denn diese können für den nicht genommenen Urlaub eine finanzielle Abgeltung verlangen. Da nun in vielen Fällen alle Urlaubsjahre berücksichtigt werden können bzw. müssen, kann der Arbeitgeber unter Umständen zur Zahlung einer hohen Geldsumme verpflichtet sein.
Aufgrund der Entscheidung sollten Arbeitnehmer daher nun prüfen, ob auch ihnen ein Urlaubsanspruch – gegebenenfalls in Form eines Abgeltungsanspruchs – zusteht.
Arbeitgeber sollten nun zumindest in Zukunft ihren Mitwirkungsobliegenheiten ordnungsgemäß nachkommen, um weiteren Ansprüchen entgegenzuwirken. Zudem sollten auch Arbeitgeber genau prüfen, ob geltend gemachte Ansprüche der Arbeitnehmer auch tatsächlich bestehen.
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